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Bei der Verhaltenstherapie (VT) geht man davon aus, dass nahezu alle psychischen Probleme das Produkt einer mehr oder weniger langen Lerngeschichte sind. Psychische Störungen werden demnach in ähnlicher Weise erlernt, wie irgendwelche Fertigkeiten oder Vokabeln. Ähnlich wie bei den Vokabeln werden auch unangenehme Angewohnheiten oder sogar Störungen auch wieder verlernt, z. T. bereits in einem frühen Stadium, sodass gar kein manifester Leidensdruck entsteht. Leider ist das nicht bei allen Problemen und Störungen der Fall. Fahrradfahren oder Schwimmen wird man kaum verlernen können. Viele psychische Störungen werden auch nicht einfach verlernt oder vergessen, auch nicht mit Hilfe von professionell geschulten Therapeuten. Hier gilt es vielmehr die Lernbedingungen dergestalt zu verändern, dass Verhalten weniger eingeengt und somit flexibler, damit auch weniger belastend wird und erlebt wird. Natürlich kann man mit einer Magersucht nach einer erfolgreich durchgeführten Verhaltenstherapie noch Hungern, aber man hat nicht mehr das Gefühl, dies zu müssen. Warum eigentlich nicht? Was passiert da im einzelnen?

Man unterscheidet beispielsweise beim Lernen

Sensitivierung

Bei der Sensitivierung geht es darum, sich immer mehr für einen Reiz und seine Differnziertheit zu sensibilisieren. Beispiele sind zu lernen, Wein oder Tee hinsichtlich ihres Geschmacks zu beurteilen

Habituation

Habituation bedeutet „Gewöhnung“. Jemand lernt z.B. in der neu bezogenen Wohnung, die nächtlich permanent vorbeifahrenden Züge nicht mehr wahrzunehmen

Klassisches Konditionieren

Beim klassischen Konditionieren wird ein ursprünglich neutraler Reiz an einen Reiz gekoppelt, der in natürlicher Weise eine körperliche Reaktion auslöst. Tritt nach mehrmaligen Kopplungs-Durchgängen dieser ursprünglich neutrale Reiz dann alleine auf, kann er die körperliche Reaktion alleine auslösen. Pawlows Versuche mit Hunden vor mehr als hundert Jahren haben hier Berühmtheit erlangt, bei denen er einen Glockenton mit der Darbietung von Futter koppelte. Nach einigen Durchgängen konnte das Erklingen der Glocke allein Speichelfluss bei den Hunden erzeugen.

Ein weiteres Beispiel im Humanbereich ist das Entstehen von Fetischismus.

Operantes Konditionieren

Operantes Konditionieren bezeichnet das Lernen am Erfolg. Dies bedeutet: Zufällig gezeigte Verhaltensweisen treten häufiger auf, wenn sie eine Belohnung oder anders bezeichnet „Verstärkung“ erfahren, sie treten seltener auf, wenn sie bestraft oder ignoriert werden. Ein Schüler, der Aufmerksamkeit möchte und deshalb in der Klasse ‚herumkaspert’ erlebt die mahnenden Worte des Lehrers als Belohnung und wird deshalb noch mehr ‚herumkaspern’.

Modellernen

Beim Modellernen wird das Verhalten eines Vorbildes nachgeahmt, weil man beobachten kann, dass das Vorbild für sein Verhalten eine Verstärkung erhält. Kinder, die im Film einen Westernhelden sehen können, der durch coole Sprüche und harte Fäuste Bewunderung erfährt, mögen ihren Helden gerne nachahmen.

Alle Formen des Lernens werden bei der Entwicklung einer psychischen Störung Berücksichtigung finden. Entscheidend ist, dass die Störung im Leben des Betroffenen eine Funktion einnimmt, die im weitesten Sinne auch als „sekundärer Krankheitsgewinn“ bezeichnet werden kann. Provokativ ausgedrückt bedeutet dies: Der Kranke leidet nicht nur, er hat auch etwas von seinem Leiden. Am Ende einer ggf. langen Verhaltenskette steht immer ein C+ (das bedeutet: eine positive Konsequenz) oder ein C- (gesprochen: C minus durchgestrichen; das bedeutet: eine negative Konsequenz wird mit dem Verhalten beseitigt oder vermieden).

Beispielsweise erhält der Depressive Zuwendung oder Schonung, der Ängstliche kann unangenehme Situationen vermeiden, die Bulimikerin kann essen was sie will und dabei eine ‚gute Figur’ haben.

Bezeichnend bei der Entwicklung einer Störung mit Krankheitswert ist, dass das Problemverhalten in der Regel über die kurzfristigen positiven Konsequenzen aufrechterhalten wird und die langfristigen Konsequenzen hingegen das Leiden verschärfen und für den Betroffenen fatale Folgen beinhalten. So ist der Rausch für den Alkoholiker, außer in einem späten Stadium, kurzfristig positiv. Alle Ängste, Sorgen etc. geraten für kurze Zeit in Vergessenheit, langfristig hingegen stehen körperlicher und sozialer Verfall bis hin zum Tod auf dem Programm.

Zur Erfassung des Problemverhaltens bei psychischen Störungen bedient sich die Verhaltenstherapie der so genannten Verhaltensanalyse. Hierbei werden die Auslöser und/oder Situationen (S) erfasst, in denen das Problemverhalten auftritt. Hinzu kommt das eigentliche Problemverhalten, die Reaktion, die man auf vier Ebenen beschreibt: R kognitiv – die Gedanken, die in dieser Situation auftreten, R emotional – die begleitenden Gefühle, R physiologisch – die dazugehörigen körperlichen Reaktionen und R motorisch – das beobachtbare Verhalten. C beschreibt letztlich, wie bereits erwähnt die daraus resultierenden Konsequenzen oder das, weshalb jemand ein Problemverhalten zeigt. Hier ein Beispiel für die Verhaltensanalyse bei einer Essstörung: 

Auslöser S für das Problemverhalten sind sämtliche anstehende Malzeiten oder anstehende Termine im Fitness-Studio, aber auch zahlreiche Alltagssituationen wurden mittlerweile lerngeschichtlich assoziativ als Auslöser verknüpft (z.B. Bilder von Frauen in Zeitschriften, andere Frauen, Einladungen zum Essen, Kauf von Kleidung etc.)

In den vier Verhaltenskategorien fallen u. a. folgende klinisch relevanten Verhaltensprobleme auf:

Kognitionen: „Ich bin zu fett." "Ich bin hässlich." "Ich bin so jung und habe schon Zellulitis." "Ich finde mich zum Kotzen." "Was soll aus mir werden?" "Ich bin so unglücklich." "Ich muss für alle Männer attraktiv werden - mein Freund findet mich ja nur anziehend, weil er mich liebt." "Der Sport ist eine Folter, aber ohne den werde ich noch hässlicher." "Ich habe keine Zeit, wenn ich den Sport mache, aber ich muss."

Emotionen: Angst, Traurigkeit, Verzweiflung (Depression)

Physiologie: massive Anspannung und Erschöpfung

Motorik: verbringt viel Zeit mit dem Einkauf von Obst und dessen Zubereitung, geht stundenlang ins Sportstudio

Als kurzfristige positive Konsequenz erlebt die Betroffene das Gefühl von Kontrolle (C+). Sie gibt sich außerdem der Illusion hin, etwas gegen ihre vermeintliche Zellulitis und für die Steigerung ihrer Attraktivität zu tun. Ihrem Selbstideal kommt sie scheinbar näher (C+). Langfristig läuft sie in Gefahr, sich massiv gesundheitlich zu schädigen, sowie ihre emotionale Instabilität zu chronifizieren, mit allen einhergehenden Defiziten (Depression, Ängste, Selbstwertprobleme, Anhedonie, sexuelle Probleme etc.)

Wie sieht die eigentliche Therapie in der VT aus? Die VT hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte sehr geöffnet und bedient sich heute sehr zahlreicher Verfahren, deren bloße Aufzählung und kurze Darstellung den Rahmen einer Kurzdarstellung sprengen würde. Bekannt sind sicherlich exponierende Verfahren in der Angsttherapie. Hier wird der Betroffene dazu motiviert, sich seinen angstauslösenden Reizen gezielt auszusetzen. Diese weiterhin zu vermeiden hieße, für jedes Vermeiden die Belohnung zu erfahren, dass die Angst wieder zurückgeht oder gar nicht erst auftritt (C-). Dies wäre letztlich fatal für den Betroffenen. Die Bearbeitung dahinter liegender psychischer Konflikte ist erwiesenermaßen hilfreich, kann die Angst alleine jedoch nicht zum Verschwinden bringen. Statt dessen habituiert der von Ängsten Geplagte in seinem persönlichen ‚Horrorszenario’ (beispielsweise beim Blick von einem Turm oder der Fahrt in einem Aufzug) und kann so lernen, seinen Alltag wieder angemessen zu bewältigen.

Zum zentralen Element der VT hat sich die kognitive Verhaltenstherapie entwickelt. Sie geht davon aus, dass unsere Gefühle, die ja bei einer Therapie im Fokus des Veränderungsprozesses stehen, abhängig von unseren Bewertungen sind. Kann ich die Bewertung verändern, verändert sich auch mein Gefühl. Kommt der Angestellte morgens ins Büro und begegnet seinem übellaunigen Chef, mag er denken: „Der hat etwas gegen mich.“ „Der hat sich über mich geärgert.“ „Sicherlich will er mich loswerden und schmeißt mich bald raus.“ Die emotionalen Folgen mögen Angst und Depression sein. Geht der Verhaltenstherapeut nun hin und hinterfragt akribisch diese spontanen Bewertungen des Betreffenden und gelangt mittels so genannter kognitiver Umstrukturierung oder mittels Sokratischem Dialog zu alternativen Bewertungen, wie z.B.: „Mein Chef hat es auch nicht leicht.“ „Er hat Sorgen – vielleicht ist Zuhause jemand krank.“ Oder „Er ist halt ein launischer Mensch!“ – so mag der Betroffene letztlich erkennen, dass seine Bewertungen auf den zweiten Blick nicht nur viel realistischer sind, sondern auch zu einem weitaus besseren Gefühl und einer stabileren psychischen Verfassung verhelfen.

Letztlich steht am Ende einer erfolgreichen Therapie die erhöhte Flexibilität im Denken, Erleben und Verhalten, wodurch Leidensdruck erheblich reduziert und die Lebensqualität gesteigert werden kann. Da VT immer klar auf einzelne Ziele bezogen ist (z.B. „Aufbau von Selbstbewusstsein“) ist sie jederzeit transparent und kontrollierbar. Damit wird Therapie zur durchschaubaren Dienstleistung.

 

 

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